05|11|20

24 Jahre für die (junge) Fotografie

Im Essay «Understanding a Photograph» schreibt John Berger, dass hinter einer Fotografie die bewusst getroffene, menschliche Entscheidung stehe, diesen bestimmten Moment, das konkrete Objekt mit der Kamera festzuhalten. Demzufolge wäre das Fotografieren kein impulsiver Akt, sondern basiere auf einer vorgängigen Idee, einem Gedankengang, einem Motiv, letzten Endes: auf einer Erzählung. Denn, so Berger weiter, wenn ständig und alles und jedes fotografiert würde, hätten die resultierenden Bilder eben diese vorhin genannntegenannte, «menschgemachte» Auszeichnung verloren – die Fotos würden mechanisch, seelen- und belanglos. Fotografie ist «der Prozess, der die Beobachtung selbst-bewusst («self-conscious») macht».


Über ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen des Textes, in einer Gegenwart, in der viele Lebensbereiche bereits weitgehend digitalisiert funktionieren, haben wir diesen Punkt erreicht: unser Unser Alltag ist von einer zusehends unüberblickbaren, schier unendlichen Bilderflut dominiert, deren Bedeutung in dem Masse am Sinken ist, wie ihre Anzahl zunimmt. Belangloses buhlt in allen erdenklichen Medien und Kanälen rund um die Uhr um unsere Aufmerksamkeit, und wir, wir zappen, scrollen uns durch, dank dem Smartphone und dem Tablet nunmehr 24h am Tag, sieben Tage die Woche.

Stehenbleiben, innehalten, schauen. Nachdenken, nochmals schauen, diskutieren, auswählen. Weglegen, hervornehmen. Diskutieren, vorschlagen, wieder verwerfen. Und schliesslich entscheiden. Das kostet Zeit, benötigt Engagement und verlangt Begeisterungsfähigkeit. Das ist die Arbeit, die eine Jury leistet. Und wie die Auswahl in diesem Katalog zeigt, hat sie (dieses Jahr bestehend aus Anne Immelé, Nadine Barth, Stephan Schacher, Christian Lutz und Sascha Renner) nun zehn Finalistinnen und Finalisten bestimmt, deren Arbeiten in Sachen Bildsprache, Thematik und auch Technik sehr verschieden sind. Wir meinen, dass die getroffene Auswahl die breite Vielfalt der Fotografie zwischen «Gebrauchsgut» und Kunst sehr gut reflektiert.

In einem Bild, einer Fotografie steht implizit der Wunsch: Einzigartig sein, Aufmerksamkeit erringen, im Gedächtnis der Betrachterin, des Betrachters bleiben. Im postmodernen Kontext darf eine Fotografie aber auch genau das Gegenteil «wollen». Oder alles andere, : denn auch in der Fotografie gilt längst das Prinzip des «anything goes». Trotzdem ist dies kein Widerspruch, sondern sollte als lustvolle Ergänzung verstanden werden, die durchaus auch die eine oder den andern irritieren darf: Das Aufeinandertreffen gegensätzlicher Traditionen, Techniken und Wege erzeugt gemeinhin Reibung, Spannung, auch Differenz. Daraus wiederum entstehen Debatten, Gespräche, Reflexionen. Diese diskursive Auseinandersetzung mit dem Medium und all seinen Möglichkeiten ist es, was der vfg Nachwuchsförderpreis für Fotografie mit seiner konsequenten und konstanten Unterstützung junger Talente seit nunmehr 24 Jahren zu leisten bemüht ist.

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